Es ist ein Geschenk, wieder hier sein zu können. Das Hospizgebäude ist in einem guten Zustand. Innen und außen wurden Malerarbeiten durchgeführt, die Räumlichkeiten wirken freundlich und warm. Im gepflegten Hospizgarten sind die Palmen in den letzten 2 Jahren sehr gewachsen und bieten den HospizbewohnerInnen Schatten in der gnadenlosen Hitze. Über 40 Grad werden aktuell auf dem Thermometer in Tamil Nadu gemessen, auch für Südindien um diese Zeit eine unübliche Temperatur. Durch den Klimawandel ausgelöst leiden die Menschen in Indien momentan unter einer extremsten Hitzewelle. Im Norden Indiens werden bis zu 55 Grad Celsius verzeichnet. In den Nächten kühlen die Temperaturen oft nur wenig ab , das ist zusätzlich eine große Herausforderung für die Menschen. Als ich ankomme, gibt es tatsächlich noch bekannte Gesichter unter den HospizbewohnerInnen. Zwei Frauen kommen lachend auf mich zu und umarmen mich. Ich freue mich auch sehr, sie wiederzusehen. Auch die 33- jährige Mrs. Jancy, die die Leitung des Hospizes in Dindigul seit vielen Jahren innehat und mit ihrem Mann Sentil und ihren beiden Kindern Assunta und Binu im St. Joseph´s Hospiz in Dindigul lebt begrüßt mich sehr herzlich. Wegen der Hitze hat sie mir einen Raum mit air -condition vorbereitet, damit ich gut schlafen kann. Mit Fr. Thomas telefoniere ich mehrmals. Er ist zur Zeit in Chennai an der Ostküste , 700 km entfernt von Dindigul und verbringt die Tage wegen der Hitze fast ausschließlich in seinem kühlen office mit Klimaanlage und arbeitet von hier. In unseren Gesprächen teilte mir Fr. Thomas seine Überlegungen mit, allmählich aufgrund seines Alters das erste der 5 Hospizgebäude an einen Orden abzugeben. Dem 45-jährige indische Pater Sebastian habe er aus diesem Grund die kommissarische Leitung des St. Joseph´s Hospizes in Dindigul bereits übergeben. Pater Sebastian unterstützt Mrs. Jancy momentan dabei, die bisher handschriftliche Buchführung auf eine Digitale umzustellen und feiert jeden Sonntag mit dem 10 HospizmitarbeiterInnen und den BewohnerInnen in der Hospizkapelle einen Gottesdienst. Seine eigene Gemeinde ist 5 Autominuten entfernt. An einem Tag fahren wir (Mrs. Jancy und ihr 3-jähriger Sohn Binu, Fr.Sebastian und ich) gemeinsam in das nahegelegene Dorf. Fr. Sebastian lebt neben der neu renovierten kleinen Dorfkirche alleine in einem sehr schönen Pfarrhaus.
Fr. Sebastian ist ein freundlicher, geduldiger und sehr humorvoller Mensch, der Geige spielt. Er wollte eigentlich Berufsmusiker werden, erzählt er mir, habe dann aber seine Berufung in einem Studium der Sozialarbeit und anschließendem geistlichen Weg gefunden. Er singt viel und gerne im Gottesdienst. Ich zeige ihm im Hospiz die Körpertambura, die in gutem Zustand ist. Er ist sehr interessiert zu lernen, auf dem Instrument zu spielen und über ihre Einsatzmöglichkeiten zu erfahren.
In einem weiteren Telefonat mit Fr. Thomas erfahre ich, dass es den 9 Kindern in den Hospizen um Chennai gut geht. Sie gehen in eine nahegelegene Schule, sind alle gesund und natürlich in den letzten Jahren auch ganz schön gewachsen. Das kann ich auf Bildern sehen, die Mrs. Jancy mir zeigt. Für die finanzielle Unterstützung der Kinder in der Zukunft hat Fr. Thomas ein separates Konto angelegt.
Beim indischen Frühstück, Idli mit Kokospaste, erfahre ich von Mrs. Jancy über die Coronapandemie und ihre Auswirkungen auf die Hospize. Über 7 Monate habe nur der Fahrer und ihr Mann das Hospizgebäude verlassen dürfen, um für die Versorgung auf den Märkten in den Nachbardörfern zu sorgen, erzählt mir Mrs. Jancy. Mit Spezialanzügen, Mundschutz und Handschuhen ausgestattet seien sie zum Einkauf aufgebrochen. Nach ihrer Rückkehr hätten sie die Spezialkleidung vernichtet und immer sich selber und auch die Lebensmittel desinfiziert. Im Hospiz habe es regelmäßig Testungen gegeben, kein Fall von Corona- Infektion sei bisher aufgetreten. Die Bewohnerzahl im Hospiz in Dindigul ist seit der Coronapandemie auf 175 begrenzt, es wurden und werden momentan keine neue Patienten aufgenommen, sagte sie mir. In den 7 Monaten des lock downs hätten sie sich auf die Gemeinschaft mit den Bewohnern konzentriert, das Gebäude renoviert und immer daran geglaubt, dass sich die Situation wieder entspannt. Alle 10 HospizmitarbeiterInnen sind 2 mal gegen Covid-19 geimpft. Die 3.Boosterimpfung haben bisher nur ältere Menschen erhalten.
Während ich in Dindigul im St. Joseph´s Hospiz bin erfahre ich, dass Fr. Thomas in diesen Tagen von der örtlichen Polizeibehörde in Chennai eine Ehrung für seine Arbeit verliehen wird. Die örtliche Polizei ist für die obdachlosen Menschen zuständig. Sie dankt Fr. Thomas und ehrt ihn für sein humanitäres Engagement, sterbende obdachlose Menschen in den St. Joseph´s Hospizen aufzunehmen und ihnen dadurch einen menschenwürdigen Tod zu ermöglichen.
Die Coronapandemie ist für die meisten Menschen in Indien gegenwärtig kein Thema mehr. Im Flugzeug bestand zwar noch Maskenpflicht und auch im Taxi. In Geschäften und auf den Straßen tragen wenige Menschen eine Maske. Auch im St. Joseph´s Hospiz in Dindigul werden keine Masken mehr getragen. Die Infektionszahlen sind gegenwärtig in Tamil Nadu sehr gering. Man spricht jedoch schon von einer möglichen 4.Pandemiewelle, die für den Herbst erwartet wird.
Die politische Situation speziell für christliche NGO ´s ( nicht regierungsgeführte Organisationen) ist in Indien immer noch sehr angespannt. Die Regierung hatte kürzlich in einem neuen Gesetz erlassen, dass viele dieser Projekte nicht mehr finanziell aus dem Ausland unterstützt werden dürfen. Hunderte von Projekten können so nicht mehr überleben.
Zum Glück fallen die St. Joseph´s Hospize nicht darunter. Während des Corona-lock-downs unterstützte der Staat die Hospize sogar zeitweise finanziell mit.
Ich fand die Hospizgemeinschaft nach 2 Jahren Pandemie so vor, wie ich sie von meinem letzten Besuch vor 2 Jahren in Erinnerung hatte: freundlich, sehr menschlich und weiterhin hoffnungsvoll.
Ein Gefühl von tiefer Dankbarkeit erfüllte mich auf meinem Weg zurück nach Deutschland.
Berlin, 11.5.2022 Cordula Dietrich